DIE JUSTIZ IN NIEDERSACHSEN WEITERENTWICKELN
 DIE  JUSTIZ  IN NIEDERSACHSEN WEITERENTWICKELN


1.Vorbemerkung

Das rechtsstaatliche System der Bundesrepublik Deutschland hält jedem internationalen Vergleich stand, innerhalb dieses Systems wiederum nimmt die Justiz des Bundeslandes Niedersachsen im Vergleich mit anderen Ländern einen guten Platz ein. Sowohl die letzten Landesregierungen und  das Justizministerium als auch der Justizapparat und die beteiligten Organe der Rechtspflege haben in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet. Veränderungen in der Gesellschaft führen jedoch zwangsläufig auch zu veränderten Anforderungen bei rechtlichen Fragestellungen und deren Bearbeitung im täglichen Leben und letztlich auch in den unterschiedlichen Zweigen der Justiz. Die aktuelle Situation in Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in den letzten 25 Jahren die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte verdoppelt hat, dass zum Teil gerichtliche Verfahren erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und das aus Sicht der rechtssuchenden Bevölkerung die Abläufe innerhalb der Justiz nicht immer nachvollziehbar sind. Der normale Bürger als Betroffener eines gerichtlichen Verfahrens beklagt in vielen Fällen, dass seinem Interesse nicht entsprochen werde,  dass beispielsweise in einem Räumungsverfahren gegen Mietennomaden sein Schaden durch die Laufzeit des Prozesses immens vergrößert werde  oder aber dass im Bereich der Strafjustiz der Aspekt des Opferschutzes  zu kurz komme , obwohl die Vokabel Opferschutz auf allen Ebenen permanent in der Theorie mit hohen Stellenwert benutzt wird. Auch daß in der Sozialgerichtsbarkeit unzählige Fälle erst nach ca. neun Jahren ab Klageerhebung in der zweiten Instanz durch das Landessozialgericht entschieden werden, wird von den klagenden Naturalparteien mit Kopfschütteln quittiert - das Verständnis für die Realität des Rechtsstaates ist in solchen Fällen nicht mehr gegeben, weil möglicherweise die gerichtliche Entscheidung zur Höhe der begehrten Rente oder der beantragten Pflegestufe sich für die Lebensqualität des Bürgers nach so langer Zeit kaum mehr auswirken kann.

Die Situation der Justiz in Niedersachsen (wie auch in anderen Bundesländern) ist dadurch gekennzeichnet, dass eine begrenzte Anzahl von Menschen eine Vielzahl von Verfahren prozessual korrekt abarbeiten muss und dass die Begrenzung von Haushaltsmitteln für Justiz mehr Personal in vielen Bereichen nicht zulässt, obwohl nur mit erhöhtem Personaleinsatz den Wünschen der rechtssuchenden Bevölkerung besser entsprochen werden könnte. Die aktuelle Aufgabenstellung für die politischen Entscheidungsträger muss daher sein, den Justizapparat so gut wie möglich von überflüssigen Verfahren zu entlasten bzw. durch eine Veränderung prozessualer Regeln eine verbesserte Effizienz zu ermöglichen, die letztlich den Interessen aller Beteiligten dient. Die Weiterentwicklung der Justiz in der erforderlichen Weise kann  dabei nicht allein von der Landesregierung oder durch das Justizministerium geplant werden sondern erfordert zwingend die Beteiligung  aller für die Lebenswirklichkeit wichtigen Akteure- das politische Instrument  dafür ist die Einrichtung einer Enquetekommission. In dieser sollten beteiligt sein neben Vertretern von Regierung, Ministerium und Fraktionen Vertreter der Richter, Staatsanwälte, der Rechtspfleger, des AJSD, des Justizvollzuges, der Polizei, des weißen Ringes, der Anwaltschaft, der IHK, der Handwerkskammer, der Jugendämter sowie eventuell weiterer Organisationen. Die Kommission sollte verschiedene Aufgabenfelder nebeneinander benennen, in denen dann Vertreter der justizfremden Organisationen gezielt mitarbeiten können. Beispielhaft sei genannt, daß bei der Diskussion von Abläufen familienrechtlicher Verfahren das Jugendamt zu beteiligen ist und bei der Frage von Mediation in Bausachen die Handwerkskammer etc.

Die Ansätze für die gebotene weitere Entwicklung der Justiz sind bereits in der Theorie vielfach vorhanden, es gilt gute Gedanken besser in der Praxis umzusetzen und hierfür die erforderlichen verfahrensrechtlichen oder auch monetären Voraussetzungen zu schaffen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen hierzu wieder nur beispielgebend einen Teil der Aufgabenstellung und ebenso einen Teil des möglichen Lösungsansatzes aufzeigen.

 

2. Zivilrecht/Familienrecht/Mediation

Für jeden Praktiker ist unbestreitbar, welche Entlastungspotenziale gute Mediation bieten kann. Zivilrechtliche  Auseinandersetzungen können zu einem großen Anteil außergerichtlich wesentlich besser gelöst werden als gerichtlich, wobei  „besser“  begrifflich an dieser Stelle drei Komponenten beinhaltet :  Zeitersparnis, Kosteneinsparung und Befriedungswirkung. Die  Vorteile eines außergerichtlichen Mediationsverfahrens die bei zivilrechtlichen Streitigkeiten erreichbar sind gelten identisch auch für den gesamten Bereich des Familienrechtes. Ebenso wie Kaufleute nach einem außergerichtlichen Verhandlungsergebnis wieder besser miteinander Geschäfte machen können oder die Parteien einer baurechtlichen Streitigkeit die Zusammenarbeit fortsetzen, ist gerade bei gemeinsamen Kindern für Eheleute in einer Trennungssituation immens wichtig, dass Konfliktfragen schnell einer Lösung zugeführt werden damit anschließend im weiteren Leben nicht verbrannte Erde nach einem streitig entschiedenen Prozess als Belastung verbleibt sondern aufgrund eines in guter Mediation erreichten Kompromisses noch ein gewisses Miteinander möglich ist.

Warum aber wird die Möglichkeit der Lösung von Streitigkeiten im Rahmen guter Mediation noch nicht in dem Umfang wahrgenommen, wie es auf den angesprochenen Sektoren für alle Beteiligten sinnvoll wünschenswert wäre?

Ganz entscheidend ist an dieser Stelle das Erwerbsinteresse der Anwaltschaft.

Um es klarzustellen: Anwälte haben ein legitimes Interesse, durch ihre Berufsausübung Geld zu verdienen! Nach dem bisherigen Verständnis innerhalb der Anwaltschaft ist es jedoch betriebswirtschaftlich wesentlich sinnvoller, Mandanten zu gerichtlichen Verfahren zu raten, um so gegebenenfalls auch durch mehrere Instanzen mit diesen Mandanten Umsatz zu machen und in vielen Fällen dabei letztlich auf die Staatskasse als solventen Gebührenschuldner zurückgreifen zu können. Jeder außergerichtliche Vergleich wird das Risiko in sich, vom eigenen Mandanten möglicherweise die Gebühren nicht bzw. nur mit Schwierigkeiten und Verzögerungen bezahlt zu bekommen, wobei demgegenüber bei Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe in Familiensachen die Landeskasse die Sicherheit gibt, dass man für die Arbeit im gerichtlichen Verfahren auch die für die eigene wirtschaftliche Existenz so wichtige Bezahlung erhält. Ein Anwalt, der regelmäßig zivilrechtliche oder familienrechtliche Streitigkeiten ohne die Inanspruchnahme von Gerichten einem Kompromiss zuführt, schädigt sein eigenes wirtschaftliches Interesse. Ähnliches gilt im Strafverfahren, wo ein Verteidiger nicht etwa für ein abgekürztes Verfahren mit gutem Ergebnis für den Mandanten wirtschaftlich belohnt wird, sondern wo stattdessen jeder zusätzliche Verhandlungstag den Gebührenanspruch erhöht, was insbesondere für die nicht seltenen Fälle der Pflichtverteidigung und den Gebührenanspruch gegen die Staatskasse dazu führt, dass das legitime finanzielle Interesse des Rechtsanwaltes im Widerspruch stehen kann zum Interesse der Justiz an einem zügigen Abschluss des Verfahrens wie auch an dem Interesse des Mandanten an einem schnellen und für ihn dadurch möglicherweise verbesserten Ergebnis. In Anbetracht des Umstandes, dass die große Zahl der Anwälte in Deutschland sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt hat und diese Anwälte ihren Umsatz erwirtschaften müssen, kann auf allen Sektoren der außergerichtlichen Streitschlichtung keine Lösung erfolgreich sein, den Erwerbsinteresse der Anwaltschaft nicht in einer geeigneten Form Rechnung trägt. Hierüber muss mit Vertretern der Anwaltschaft offen geredet werden - es muss Prozesskostenhilfe bzw. Beratungshilfe  deswegen auch eingeführt werden für den Bereich außergerichtlicher Verfahrenserledigung durch Mediation, Schlichtungsstellen bei der IHK oder der Handwerkskammer oder Verständigungen zwischen potentiellen Prozessparteien auf dem Sektor des Familienrechtes, wenn sie außergerichtlich erreicht werden.

Der gegenwärtige Trend geht dahin, die gerichtsinterne Mediation durch dafür ausgebildete Richter zu propagieren. Gerichtsinterne Mediation ist sicherlich dann sinnvoll, wenn gerichtliche Verfahren bereits entstanden sind. Will man jedoch die Gerichtsbarkeit bestmöglich entlasten, so ist unverzichtbar, die vorgerichtliche Mediation so weit wie möglich zum Regelfall der Erledigung von Streitigkeiten zu machen. Speziell ausgebildete Anwälte sollten deswegen vorgerichtliche Mediationsverfahren durchführen, wobei zu diskutieren ist, ob diese Anwälte dann auf den gleichen Rechtsgebieten, für welche sie Mediation anbieten, auch noch prozessual tätig sein dürfen.

Denkbar wäre, dass die außergerichtliche Mediation abgesichert durch Prozesskostenhilfe aus der Anwaltschaft heraus geleistet werden könnte und dass Stellen wie beispielsweise die IHK, der Handwerkskammer oder auch die Jugendämter und Sozialämter über Listen von Rechtsanwälten verfügen, die sich für unterschiedliche Felder auf die Durchführung außergerichtlicher  Mediation spezialisiert haben. Die Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe in einem gerichtlichen Verfahren oder von Verfahrenskostenhilfe in Familiensachen vor Gericht könnte davon abhängig gemacht werden, dass zuvor zunächst einmal versucht wurde, durch außergerichtliche Mediation die Streitigkeit einer Lösung zuzuführen.

 

3.Strafrecht/Kriminalitätsbekämpfung

Trotz zurückgehender Zahlen in der Kriminalitätsstatistik ist als wesentliches Problem festzustellen, dass unsere Staatsanwaltschaften absolut überlastet sind.

Die Auswirkungen dieser Tatsache sind vielfältig: zum einen werden viele Verfahren im Erledigungsinteresse eingestellt, obwohl zuvor Polizisten erheblichen Aufwand in die Ermittlungsarbeit investiert haben und sowohl aus Sicht der Polizei wie auch der   Opfer eine Ahndung der Tat geboten wäre. Die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften belastet die Motivation der Kriminalpolizei. Zum anderen liegt eine viel zu lange Zeitspanne zwischen der Straftat und dem Beginn des Prozesses, was insbesondere im Bereich des Jugendstrafrechtes nicht hingenommen werden kann. Jeder Fachmann fordert, dass bei jugendlichen Straftätern wie auch bei Heranwachsenden unter dem Erziehungs aspekt unverzichtbar ist, dass das Strafverfahren möglichst kurzfristig nach der Tat beginnt. Nur so kann insbesondere bei Intensivtätern die erzieherische Wirkung erzielt werden, nur so kann auch durch schnelle Individualprävention ein Schutz für potentielle Opfer von Wiederholungs taten erreicht werden.

a.       Wie aber kann man die Staatsanwaltschaften entlasten ?

In vielen Fällen kann bei leichteren Delikten der Gedanke des Täter Opfer Ausgleiches umgesetzt werden.

Ähnlich wie bei der außergerichtliche Mediation in Zivilsachen könnte auf Anregung der Polizei, der Jugendgerichtshilfe oder des AJSD in geeigneten Fällen Beschuldigten  bereits im Ermittlungsverfahren vorgeschrieben werden, gemeinsam mit den Opfern der angeschuldigten Straftaten vor speziell dafür ausgebildeten Rechtsanwälten zu erscheinen, um das Verfahren durch einen außergerichtlichen Einigungsversuch wenn irgend möglich zu erledigen und die Sache zu befrieden. Der gesamte Bereich der Bagatell kriminalität könnte so zum Gegenstand von Einigungsversuchen werden, bei denen dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben wird, sich für einen Fehler zu entschuldigen, dem Opfer Ausgleich oder eine gewisse Genugtuung zu geben und durch einen geordneten Abschluss das Interesse  des Staates an einer Strafverfolgung der Handlung hinfällig werden zu lassen.

b.       Adhäsionsverfahren

Im Adhäsionsverfahren werden durch das Strafgericht gleichzeitig bei entsprechender Fallkonstellation zivilrechtliche Ansprüche des Opfers ausgeurteilt mit der Folge, daß wegen des gleichen Lebenssachverhaltes nicht noch ein Zivilverfahren folgen muß.  Diese Art des Verfahrens führen die Strafrichter in aller Regel nicht durch, weil sie in der richterlichen Erledigungsstatistik nicht besonders bewertet wird. Es macht für den Strafrichter also keinen Sinn, den Mehraufwand in Kauf zu nehmen um die Arbeit des Kollegen aus der Zivilabteilung gleich mitzuerledigen.  Eine  Würdigung von Adhäsionsverfahren im Pensum des Richters könnte leicht Abhilfe schaffen und Zivilverfahren einsparen.

c.       Anwaltsgebühren

Es sollte geprüft werden, ob durch entsprechenden Gebührenanreiz für die Verteidiger/Nebenklagevertreter  die Sinnhaftigkeit einer zügigen Verfahrenserledigung  gefördert werden kann.

d.       Beschränkung von Verteidigerrechten

Es gibt Beispielsfälle, in denen Strafabteilungen eines Gerichtes  fast lahmgelegt werden, weil durch die übertiebene Inanspruchnahme von Verteidigerrechten  Verfahren ausufern, ohne daß irgendein Beteiligter hiervon profitiert (siehe Stade). Im konstruktiven Dialog mit der Anwaltschaft ist zu prüfen, ob  hier durch veränderte Verfahrensvorschriften  eine Lösung erreicht werden kann. Rechtsstaatlichkeit setzt auch voraus, daß  ein „fair trial“ nicht unendlich andauert.

e.Frauen/Springerstellen

Erfreulicherweise hat die Zahl der als Staatsanwältin bzw. im Richterdienst  tätigen Frauen zugenommen.  Positiv ist auch, daß viele dieser jungen Juristinnen  nach dem Start der beruflichen Karriere noch Kinder bekommen, allerdings oft mit der Folge, daß dann die Dezernate leiden und sogar zum Teil in unerledigten Verfahren zu ertrinken drohen. Hier sind Springerkräfte unverzichtbar, damit  die Arbeitserledigung  nicht mit zum Teil inakzeptablen Ergebnissen leidet.

e.       Resozialisierung/Übergangsmanagement

Prävention ist der beste Opferschutz.

Diese Binsenweisheit gebietet eine Stärkung des AJSD  und  eine Förderung der Vernetzung der Fachkommissiariate der Polizei mit Sta, Justiz und den Anlaufstellen, die  Straftäter nach der Verurteilung bzw. der Haftentlassung betreuen. Hier ist die „systemische“ Zusammenarbeit aller Akteure unter Einbeziehung der JVAs wie auch der Jugendämter zu intensivieren. Die in Nds vorhandenen guten Beispiele (u.A. Leitwerk Stade) sollten auf  ihre Modelltauglichkeit geprüft und ihre Weiterentwicklung gefördert werden.

 

4. Sozialgerichtsbarkeit

Dieser Zweig der Justiz leidet –trotz anderslautender Statistik- unter  häufig zu langer Verfahrensdauer. Der Versuch, auch in sozialrechtlichen Streitfällen Mediation stattfinden zu lassen, hat noch keine erhebliche Wirkung gezeigt.  Es bedarf des  offenen Dialoges unter allen Beteiligten,  was hier  getan werden kann.

 

5.Fazit :

In unserem  guten rechtsstaatlichen System  sind vielfältige Verbesserungspotentiale vorhanden, die ohne erhebliche Ausweitung des Justizhaushaltes erschlossen werden können.  Etliche Verbesserungen können allein auf Landesebene initiiert werden, nur in wenigen Bereichen ist zur Umsetzung erforderlich, auf eine Änderung bundesrechtlicher Vorschriften hinzuwirken.

 

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